humanes mikrobiom

Die Forschung und Entwicklung auf dem Mikrobiom-Gebiet ist für das menschliche Mikrobiom am weitesten fortgeschritten. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Möglichkeit, in das menschliche Mikrobiom einzugreifen, kann uns in die Lage versetzen, Einfluss auf unsere Gesundheit zu nehmen. Der Großteil der Forschung und Entwicklung konzentriert sich auf das Darmmikrobiom, als Reservoir der größten Menge und Vielfalt von Mikroorganismen, die in direktem Kontakt mit unserem Blut und Immunsystem stehen. Beispiele für Erkrankungen, für die ein Zusammenhang mit dem Darmmikrobiom nachgewiesen wurde, sind sehr breit gefächert und umfassen Diabetes, Fettleibigkeit, verschiedene entzündliche Erkrankungen des Darms, Autoimmunerkrankungen, neurologische Erkrankungen und bestimmte Krebsarten. Neben therapeutischen Ansätzen besteht ein großes Interesse an Ernährungsprodukten und Information und Maßnahmen zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit und Fitness auf der Grundlage des Darmmikrobioms.

Die Haut ist der zweite große Bereich in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit über das menschliche Mikrobiom. Grundsätzlich entwickelt sie sich entlang zweier Hauptbereiche: Therapeutika für bestehende Hauterkrankungen und Produkte zur Förderung einer gesunden Haut, wie z. B. Präbiotika oder Probiotika. Die Bedeutung des vaginalen Mikrobioms für die weibliche Gesundheit ist ein weiteres Forschungsgebiet. Mehrere Start-ups sowie größere Unternehmen arbeiten an Ansätzen zum Schutz des vaginalen Mikrobioms oder zur Wiederherstellung des geschädigten Mikrobioms. Neuere Forschungen haben gezeigt, wie wichtig die frühe Besiedlung von Bakterien der Mutter für Neugeborene ist. So haben beispielsweise Babys, die per Kaiserschnitt geboren oder nur mit Säuglingsnahrung ernährt werden, ein erhöhtes Risiko, verschiedene Stoffwechsel- und Immunerkrankungen zu entwickeln. Forscher und Unternehmen untersuchen, wie das Mikrobiom der Mutter auf das Mikrobiom des Säuglings übertragen werden kann, und suchen nach Möglichkeiten, es wiederherzustellen.

Das orale und respiratorische Mikrobiom wird ebenfalls intensiv erforscht. Zu den Fragen, die die Wissenschaft interessiert und zu wertvollen Lösungen finden können, gehören: “Wie kann man das Wachstum nützlicher Bakterien in Mund, Nase und Rachen, der ersten Eintrittspforte für Krankheitskeime, verbessern?” oder “Wie kann man diejenigen reduzieren oder eliminieren, die zu Krankheiten oder einfach zu schlechtem Mundgeruch beitragen?”

Schließlich kann das Mikrobiom der verwesenden menschlichen Leichen auch für die forensischen Wissenschaften von Interesse sein. In den folgenden Abschnitten werden wir versuchen, die aktuellen Technologien und die Entwicklung von Produkten und Therapeutika auf dem Gebiet des menschlichen Mikrobioms zusammenzufassen.

Darmmikrobiom

Aktuelle Ansätze zur Anwendung der bisher gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisseüber das menschliche Darmmikrobiom werden sowohl im nicht-therapeutischen als auch im therapeutischen Bereich entwickelt. Im nicht-therapeutischen Bereich liegt dabei der Fokus auf Prävention, Gesundheit, Fitness und ein insgesamt verbessertes Wohlbefinden ab. Typische Dienstleistungen umfassen die Profilierung des individuellen Darmmikrobioms durch DNA-Sequenzierung (Next Generation Sequencing, NGS) einer kleinen, vom Kunden eingesandten Stuhlprobe. Eine Reihe von Unternehmen bietet Kits für Stuhlproben an, die eine nachgeschaltete Sequenzanalyse ermöglichen und deren Ergebnisse dann verarbeitet und an den Kunden geschickt werden. Es gibt jedoch Unterschiede in der Qualität und Bandbreite der Dienstleistungen in diesem Bereich: von der grundlegenden Sequenzanalyse und der Erstellung von mikrobiellen Profilen bis hin zu den verschiedenen Stufen der Ernährungsberatung mit Hilfe von mobilen Apps oder KI-basierten Algorithmen. Letztere sollen für jeden einzelnen Kunden vorhersagen, welche Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel bestimmte Arten von Bakterien in seinem Darm stimulieren oder unterdrücken würden. Viele Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln sind aus der “Prä-Mikrobiom”-Ära bekannt:

  • als Probiotika, wie z. B. lebende Mikroben, die in fermentierten Lebensmitteln (Joghurt, Kefir, Essiggurken usw.) enthalten sind,
  • als Präbiotika, Bestandteile, die zum Wachstum der “guten” Bakterien in unserem Darm beitragen (z. B. Pflanzenfasern), oder
  • als Postbiotika, ausgewählte Substanzen, die sich positiv auf das Darmmikrobiom auswirken oder das Potenzial haben, das beschädigte Mikrobiom wiederherzustellen.

In letzter Zeit haben wir einen rasanten Anstieg an Unternehmen verzeichnet, die versuchen, neue Therapeutika auf Basis des Darmmikrobioms zu entwickeln. Die Vielfalt der sich entwickelnden Technologien und Anwendungen ist erstaunlich. Ein Beispiel für einen Darmmikrobiom-basierten Ansatz ist die so genannte “Fecal Microbiota Transplant”-Therapie(FMT). Sie basiert auf dem Transfer des fäkalen Materials einer gesunden Person in einen Patienten mit einer bakteriellen oder anderen entzündlichen Darmerkrankung. Moderne FMT-basierte Therapeutika werden in Form von Kapseln zur oralen Einnahme entwickelt. Neben bakteriellen Infektionen entwickeln mehrere Unternehmen derzeit FMT-basierte Therapien für Typ-II-Diabetes und einige Arten von Krebserkrankungen.

Es besteht zudem ein großes Interesse an der Entwicklung von Mikrobiom-basierten Therapien für viele andere Darmerkrankungen, wie z. B. das Reizdarmsyndrom (IBD) und Morbus Crohn, Zusatz oder Verbesserung für die Krebstherapie, neurologische Erkrankungen, seltene Krankheiten und andere. Zur neuen Generation von Therapeutika und antimikrobiellen Mitteln zählen:

  • spezifische Bakterienstämme,
  • Wirkstoffe („small molecules“) oder
  • Bakterien, die durch Bakteriophagen (bakterielle Viren) und / oder Gen-Editing-Tools (z. B. CRISPR-Cas) selektiv eliminiert bzw. modifiziert.

Wichtig zu erwähnen sind auch die Bestrebungen mehrerer Unternehmen, darmbasierte Sensoren als diagnostische Werkzeuge für verschiedene Krankheiten zu entwickeln.

Haut-Mikrobiom

Die Haut ist unser größtes Organ (ausgebreitet nimmt sie eine Fläche von rund zwei Quadratmetern ein!) und dient als erste Barriere zur Außenwelt, als Sensor für Berührung, Temperatur und, ja, sie beherbergt eine Vielzahl von Mikroben! Die Besiedlung mit mikrobiellen Spezies ist sehr unterschiedlich. So findet sich in den Achselhöhlen andere Mikroben als an den Füßen und im Gesicht. Eines ist aber gemeinsam: Sie sind sehr wichtig für die Immunität,  die Gesundheit des jeweiligen Hautbereichs und für den gesamten Gesundheitszustand.

Jüngste Erkenntnisse über die Zusammensetzung unseres Hautmikrobioms haben großes Interesse in verschiedenen Branchen geweckt, wie z. B. in der Kosmetik- und Konsumgüterindustrie, mit Hautprodukten wie Seifen, Shampoos, Cremes, Deodorants usw. Es entsteht eine neue Vision von Hautprodukt-Ansprüchen: Sie sollten nicht schädlich für das gesunde Hautmikrobiom sein. Ähnlich wie beim Darmmikrobiom gehören nicht-therapeutische Produkte zu den Präbiotika, Probiotika und Postbiotika.

Therapeutische Ansätze in der F&E umfassen Behandlungen für Hautkrankheiten wie Akne, Ekzeme, Schuppenflechte etc., sowie die Erforschung von Zusammenhängen zwischen Hautgesundheit und anderen Gesundheitszuständen.

Vaginales Mikrobiom

Auch das vaginale Mikrobiom in letzter Zeit intensiv untersucht worden. Bei mehr als zwei Dritteln der untersuchten Frauen ist die Diversität des menschlichen vaginalen Mikrobioms relativ gering, verglichen z. B. mit dem Darmmikrobiom.

Die dominierenden vaginalen Bakterienarten gehören der Gattung Lactobaccilus an. Bei einigen Frauen können jedoch auch andere, meist anaerobe Bakterienarten vorherrschen. Dazu tragen verschiedene Faktoren bei, wie Alter, ethnische Zugehörigkeit, hormoneller Status, Rauchen, Ernährung, sexuelle Praktiken, soziale Faktoren. Ein vaginales Mikrobiom mit wenig Laktobazillen wird als vaginale Dysbiose oder bakterielle Vaginose (BV) bezeichnet und gilt allgemein als ungesund. In einigen Teilen der Welt (typischerweise in weniger entwickelten Ländern) können bis zu 50 % der weiblichen Bevölkerung von BV betroffen sein.

Die möglichen Auswirkungen der bakteriellen Vaginose sind noch nicht vollständig geklärt. Bisher wurde sie mit Fehlgeburten, Frühgeburten, einem erhöhten Risiko für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen sowie mit einer geringeren Fruchtbarkeit oder sogar Unfruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Nicht zu unterschätzen ist auch die psychische Belastung durch mangelndes Selbstwertgefühl bei Frauen, die von BV betroffen sind.

Derzeit gibt es weltweit mehrere Unternehmen, die sich mit dem vaginalen Mikrobiom beschäftigen. Im Fokus steht dabei die

  • Wiederherstellung der vaginalen Mikrobiota,
  • Vorbeugung von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen und
  • Förderung der reproduktiven Gesundheit, z. B. durch Erhöhung der Effizienz von IVF-Behandlungen.

Neugeborenes Mikrobiom

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen zehn Jahre haben zunehmend gezeigt, wie wichtig die frühe Entwicklung eines gesunden Mikrobioms bei Neugeborenen und Säuglingen ist. Ein Versagen oder eine Verzögerung dieses Prozesses kann zu verschiedenen Stoffwechsel- und Immunerkrankungen wie Zöliakie, Reizdarmsyndrom (IBD), Typ-1-Diabetes, Asthma, Allergien und anderen führen.

Das Hauptreservoir von Bakterien, die als “Samen” für das neue Mikrobiom bei Neugeborenen dienen, befindet sich bei der Mutter. Babys, die durch eine natürliche Geburt geboren und gestillt wurden, sind mehreren mütterlichen Mikrobiomen ausgesetzt: dem vaginalen, oralen, Darm- und Haut-Mikrobiom. Im Gegensatz dazu kommt es beim Neugeborenen zu einer anderen Zusammensetzung des Mikrobioms durch:

  • Geburt per Kaiserschnitt,
  • Ernährung nur mit Säuglingsnahrung oder
  • Schädigung des mütterlichen Mikrobioms aufgrund einer Antibiotikatherapie oder aus anderen Gründen.

So lassen sich Unterschiede zwischen den Mikrobiomen von Babys, die per Kaiserschnitt geboren wurden, und solchen, die vaginal geboren wurden, manchmal bis zu mehreren Jahren nach der Geburt beobachten.

Es herrscht eine anhaltende Debatte unter den Forschernden, welches der Mikrobiome der Mutter (vaginal, oral, Darm, Haut) am kritischsten für die “Initiierung” bestimmter Mikrobiome bei Neugeborenen ist und welche anderen Faktoren zu einer schnelleren oder langsameren Entwicklung der gesunden Mikrobiome beitragen können. Viele Faktoren, wie z. B. der Lebensstil und die Ernährung, beeinflussen das Mikrobiom von Säuglingen wahrscheinlich auf die gleiche Weise wie bei Erwachsenen. Die Folgen des beeinträchtigten Mikrobioms auf die Entwicklung des Immunsystems und anderer Systeme bei Säuglingen sind noch nicht vollständig geklärt.

Derzeit werden zwei Fragen untersucht:

  • Wie kann man eine Schädigung des mütterlichen Mikrobioms vor der Geburt verhindern?
  • Wie kann man das Mikrobiom bei Frügeborenen und Babys, die per Kaiserschnitt geboren wurden, direkt nach der Geburt wiederherstellen?

Im letzteren Fall wurde in Experimenten mit der Anwendung von Vaginalflüssigkeiten der Mutter auf Neugeborene eine teilweise Wiederherstellung des Mikrobioms erreicht. Eine andere Alternative ist die direkte Manipulation des Neugeborenen-Mikrobioms mit vordefinierten Mischungen von prä- und probiotischen Bakterien.

Sehr empfohlen wird das Stillen: Es gilt als natürlicher Weg der Exposition gegenüber dem Mikrobiom der Mutter und als Quelle spezifischer Arten von Zuckern (Oligosaccharide) in der Muttermilch, die das Wachstum von nützlichen Bakterien im Darm des Babys stimulieren.

orales und respiratorisches Mikrobiom

Wie das Darmmikrobiom beherbergen auch der menschliche Mund und die Atemwege verschiedene mikrobielle Spezies, die sich zwischen Rachen, Mund- und Nasenhöhle unterscheiden. Wissenschaftler beginnen gerade erst, die Bedeutung der Zusammensetzung dieser mikrobiellen Gemeinschaften für Gesundheit und Immunität zu entdecken und versuchen, Zusammenhänge zwischen ihnen und verschiedenen Krankheiten und Zuständen zu finden.

Schädigungen des oralen Mikrobioms durch Lebensstil, Essgewohnheiten, Rauchen usw. sind ein Faktor für schlechten Mundgeruch und viele Zahn- und Zahnfleischerkrankungen, einschließlich Krebserkrankungen, in und außerhalb der Mundhöhle. Das kommerzielle Interesse an mikrobiombasierten neuen Lösungen für die Mund- und Zahnhygiene ist in letzter Zeit gestiegen und einige Produkte sind bereits erhältlich. Ein weiterer Schwerpunkt der laufenden Forschung ist der Einfluss des oralen und respiratorischen Mikrobioms auf die richtige Entwicklung des Immunsystems bei Kindern (ähnlich wie das bereits erwähnte Mikrobiom des Säuglings…), aber auch auf Zahnkaries, Gewichtszunahme, Asthma und andere pathologische Zustände und Krankheiten.

Leider sind wir alle seit dem letzten Jahr Zeugen der SARS-CoV2-Pandemie, einer lebensbedrohlichen Krankheit, deren schwerste Komplikation eine Fehlfunktion der oberen Atemwege ist. Analysen von SARS-CoV2-Patienten haben eine häufige Co-Infektion der Mundhöhle und der oberen Atemwege mit mehreren pathogenen Bakterienarten gezeigt. Dies eröffnet die Möglichkeit, durch Eingriffe in das orale und respiratorische Mikrobiom das Risiko oder zumindest den Schweregrad einer Infektion mit SARS-CoV2 und möglicherweise anderen ähnlichen Erregern zu reduzieren. Darüber hinaus kann eine orale oder respiratorische Infektion temporäre oder sogar permanente Veränderungen im Gewebe und folglich im Mikrobiom verursachen, die eine Person anfälliger für die nächste Infektion oder chronische pathologische Zustände wie allergische Rhinitis, Asthma, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), zystische Fibrose und andere machen. Eine Möglichkeit, in diesen Fällen für eine bessere Immunität und Prognose zu sorgen, ist die Wiederherstellung des oralen und respiratorischen Mikrobioms, entweder direkt oder indirekt, zum Beispiel durch eine positive Rückkopplung aus dem Darmmikrobiom. Nur wenige Unternehmen haben bereits neue Produkte in diesem Bereich in ihrer Pipeline.